- Literaturnobelpreis 1904: José Echegaray y Eizaguirre — Frédéric Mistral
- Literaturnobelpreis 1904: José Echegaray y Eizaguirre — Frédéric MistralDer Spanier erhielt den Nobelpreis für seine Interpretationen des spanischen Schauspiels, der Franzose für sein Wirken als provenzalischer Philologe.BiografienJosé Echegaray y Eizaguirre, * Madrid 19. 4. 1832, ✝ ebenda 16. 9. 1916; 1854 Professor für Mathematik und Physik an der Universität von Madrid, 1868-74 Minister für Handel, Erziehung und Wirtschaft in Spanien, 1874 Gründung der Banco de España, 1896 Mitglied der Königlichen Spanischen Akademie, 1905 Wirtschaftsminister.Frédéric Mistral, * Maillane (Arles, Frankreich) 8. 9. 1830, ✝ ebenda 25. 3. 1914; 1848-51 Jurastudium in Aix-en-Provence, Förderung der provenzalischen Sprache und Kultur, 1854 Mitbegründer der provenzalischen Bewegung »La Félibrige«.Würdigung der preisgekrönten LeistungJosé Echegaray, Sohn einer baskischen Familie, war eine der herausragendsten Persönlichkeiten Spaniens. In einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Tätigkeiten, seien es politische Ämter, Führungsposten in der Wirtschaft oder auch die Mitgliedschaft in der Königlichen Akademie der spanischen Sprache, konnte er seine zahlreichen außergewöhnlichen Talente zur Entfaltung bringen. Doch seine Leidenschaft gehörte seit seiner Jugend dem Theater, in dem er mit seinen neoromantischen Dramen wahre Erfolge feiern konnte.Noch im Ministeramt wurde 1874 sein erstes Werk, »El libro Talonario« (spanisch; Das Schuldbuch) aufgeführt. Ihm folgten bald weitere Dramen, die auch im Ausland auf Zustimmung stießen. Er verfasste während seines Lebens mehr als 60 Dramen in Prosa und Versform.In den Werken Echegarays, in denen der Einfluss anderer Autoren wie Alexandre Dumas, Henrik Ibsen und Hermann Sudermann wahrnehmbar ist, entstehen die sie prägenden dramatischen Konflikte durch Gewissensfragen und Ehebruch, und oft enden die Geschichten mit Selbstmord.Zu Echegarays Hauptwerken zählen die Dramen »En el puño de la espada« (spanisch; Im Griff des Schwertes; 1875), »Locura o santidad« (spanisch; Wahnsinn oder Heiligkeit; 1877), »El gran galeoto« (spanisch; Der große Kuppler; 1881).Wahnsinn oder HeiligkeitDie zentrale Figur des Stücks »Wahnsinn oder Heiligkeit«, Don Lorenzo, erfährt, dass ein Schatten auf der Vornehmheit seiner Herkunft liegt, ist er doch der Sohn Juanas, einer ehemaligen Hausangestellten. Und obwohl Don Lorenzo sonst ein vorbildlicher Ehemann und Vater ist, der zudem eine solide Stelle inne hat, gefährdet er das Glück seiner Familie, weil er nicht ein Erbe annehmen kann, das ihm seiner Auffassung nach nicht zusteht. Ausgelöst wird das Drama durch einen Brief, in dem seine vorgebliche Mutter kurz vor ihrem Tod die wahre Mutterschaft offenlegt. Als sich Don Lorenzo daraufhin entschließt, das Erbe zurückzugeben, verbrennt Juana den Brief ohne Lorenzos Wissen und stirbt kurz darauf in seinen Armen. Lorenzo verfällt in Hysterie, und dies lässt alle glauben, er habe Juana in einem Wahnanfall erwürgt. Da er seine abenteuerliche Erzählung über den Brief nicht belegen kann, wird er in ein Irrenhaus eingeliefert. In diesem für den Autor typischen Stück ist ungeachtet der übertriebenen Effekthascherei bei der Konstruktion des Konflikts der Aufbau solide durchdacht und die dramatischen Situationen voller Intensität gestaltet.Der große KupplerDer Titel des Dramas »Der große Kuppler« bezieht sich nicht etwa — wie man meinen könnte — auf eine Einzelperson, sondern auf die gesamte Gesellschaft, in der sich der reiche Bankier, Don Julián, bewegt. Verschiedene Personen aus dieser Gesellschaft versuchen durch Verleumdungen, Eifersucht bei Don Julián zu schüren, indem sie verbreiten, dass Teodora, seine Ehefrau, und Ernesto, der Sohn eines verstorbenen Freundes, den sie früher bei sich aufgenommen hatten, eine heimliche Beziehung haben. Anfangs weist Don Julián diese Lüge zurück, doch später muss er seinen Gefühlen, vor allem der Eifersucht, nachgeben und fordert einen der Verleumder zum Duell, in dem er schwer verletzt wird. Trotzdem erreicht er noch das Haus Ernestos und trifft dort auf Teodora. Im Glauben, seine Frau beim Ehebruch ertappt zu haben, stirbt Don Julián schließlich an den Folgen seiner Verletzung. Severo, der Bruder Don Juliáns, will nach dessen Tod Teodora aus dem Haus des Verstorbenen verstoßen, aber Ernesto verteidigt die schöne Witwe und die beiden finden so zueinander. Die Verleumder — und mit ihnen die Gesellschaft an sich — haben damit ihren Dienst als »großer Kuppler« ungewollt erfüllt.Hüter der provenzalischen SpracheDer zweite Preisträger des Jahres 1904, Frédéric Mistral, machte zunächst seinen Universitätsabschluss in Jura, um dem Wunsch seines Vaters zu entsprechen, übte beruflich aber nie eine juristische Tätigkeit aus. Sein Anliegen, dem er seine ganze Kraft widmete, war vielmehr die provenzalische Sprache. 1854 gründete er mit weiteren Autoren die »Félibrige«, eine Gemeinschaft, die es sich einerseits zur Aufgabe machte, den Gebrauch der provenzalischen Sprache und Literatur neu zu beleben, die andererseits aber auch politische Autonomiebestrebungen gegenüber der französischen Zentralmacht unterstützte.Mistrals erster selbstständiger literarischer Versuch war ein langes Gedicht über das Landleben, worauf ein Gedichtband mit dem Titel »Li Prouvençalo« (provenzalisch; Der Provenzale; 1852) folgte. Danach arbeitete er sieben Jahre an dem Werk, das seinen Ruhm schließlich begründen sollte, dem Hirtengedicht »Miréio« (1859), in provenzalischer Sprache geschrieben, für das er den Poesiepreis der französischen Akademie erhielt.Der Geist der ProvenceMiréio, ein Mädchen, deren sanfte Weiblichkeit, Unschuld, Aufrichtigkeit und feuriges Herz den Geist der Provence verkörpern, ist Titelheldin und Hauptfigur des Gedichts. Dieses brave und anziehende Landmädchen kann einen armen jungen Mann nicht heiraten, weil ihr Vater sein Einverständnis zur Ehe verweigert. In Verzweiflung flieht sie aus ihrem Vaterhaus. Die Liebesgeschichte findet mit dem Tod Miréios in der Kirche des Wallfahrtsorts Les Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue ihr tragisches Ende, das jedoch durch eine Marienerscheinung, die das Mädchen im Augenblick des Todes hat, aufgehellt wird.Sieben Jahre nach der Publikation von »Miréio« veröffentlichte Mistral ein zweites Versepos gleicher Dimension, »Calendau« (1867), das in bemerkenswert präzisen Szenen die Alltagswelt der Fischer zum Leben erweckt.Mistrals Gedichtband »Lis Isclo d'or« (provenzalisch; Inseln des Golds; 1876) gilt als eines der wichtigsten Werke der französischen Poesie des 19. Jahrhunderts. Auch der letzte lyrische Text, »Lou pouèmo dóu rose« (provenzalisch; Das Gedicht von der Rhône; 1897), steht den vorhergehenden Gedichten in nichts nach und ist ein weiteres Meisterwerk Mistrals.Über seine schriftstellerische Tätigkeit hinaus machte sich Mistral auch mit der über zwei Jahrzehnte andauernden Zusammenstellung des provenzalisch-französischen Wörterbuchs »Tresor dóu Félibrige« um die Bewahrung der provenzalischen Sprache verdient.N. Martos-Pilgrim
Universal-Lexikon. 2012.